1:12-Intiative eigentlich eine höchst bürgerliche Initiative

1:12-Logik – welche die Menschen nicht realisieren…

Okay – heute ein kleiner Lichtblick in der NZZ…? Aber was ist schon ein Blog – nicht wahr…? Well: steter Tropfen.

Viel wichtiger:

Was bei der 1:12-Initiative vergessen geht, ist, dass man das Verhältnis 1:12 von beiden Seiten her erreichen kann – indem man die obersten Löhne kürzt – oder die untersten erhöht – oder am besten – schön Schweizerisch – beides:

Geht der unterste Lohn von 4 Tausend auf 8 Tausend und der oberste von von 172 auf 86 – well: schon sind wir auf 1:10.5…

Alles klar?

Die Initiative ist eine Initiative für die Bürger! Hier der Artikel im NZZ-Blog:

 

1:12 – eine durch und durch bürgerliche Vorlage

Etablierung einer bürgerlichen Leistungsgesellschaft

Wir haben eine Leistungsgesellschaft – so zumindest war das ursprünglich gedacht. Nach der bürgerlichen Revolution am Ende des 18. Jahrhunderts, die sich, wie der Name schon sagt, gegen die Privilegien des Adels richtete, etablierte man eine gerecht sein wollende Gesellschaft: Liberté, Egalité, Fraternité machte seinen Siegeszug durch Frankreich, Amerika, die Schweiz. Nach dem grossen liberal-bürgerlichen Credo sollten alle Menschen frei und formal gleich sein und von Geburt an mit gleichen Chancen ausgestattet sein (Freiheit und Gleichheit).  Man etablierte eine Gesellschaft, wo der Beitrag den man leistet zählt und nicht die Herkunft. Die grosse Errungenschaft war der Zugang zu Ressourcen und Ämtern für alle und nicht nur für aristokratische Erben. Und unter den Bürgern sollte zwischen den Glücklichen (zum Beispiel körperlich unversehrt geboren worden zu sein) und weniger Glücklichen Solidarität und Ausgleich herrschen (Brüderlichkeit). Denn die Fähigkeit zur Tüchtigkeit in unserer Leistungsgesellschaft ist je Mensch von Geburt an unterschiedlich.

Leistungsgerechtigkeit an die Wirtschaft delegiert

Dabei delegierte man mit den Sozialwerken die Bedarfs-Gerechtigkeit an den Staat. Niemand sollte Hunger leiden und alle ein Dach über dem Kopf haben. Die Leistungs-Gerechtigkeit zu erfüllen, delegierte man an die Wirtschaft. Jeder, der mehr leistet und mehr an die arbeitsteilige  Wertschöpfung beiträgt, solle auch mehr vom gemeinsam erwirtschafteten Wohlstand bekommen. Ein schönes Konzept, das besonders in der Nachkriegszeit in allen westlichen Demokratien verwirklicht wurde. Und tatsächlich, Wirtschaft und Gewerkschaften haben dies über Jahrzehnte hinbekommen. In den 80er Jahren betrug das Lohnspreiz-Verhältnis in der Schweiz  1 zu 6 in den 90er-Jahren betrug es 1 zu 13 und heute ist es 1 zu 43. Wenn also der unterste Lohn 4000.- Franken pro Monat beträgt, ist heute der oberste Lohn 172’000.- Franken pro Monat. Wofür die untersten Einkommen ganze 3,6 Jahre lang arbeiten müssen, bekommen die obersten Einkommen in einem Monat! Das ist erschütternd. Niemand leistet 43 mal mehr als jemand anderes. Niemand!

Marktversagen korrigieren

Die Wirtschaft versagt also zunehmend,  die ihr zugeteilte Aufgabe der Herstellung von Leistungs-Gerechtigkeit, zu erfüllen. Dies nennt man Marktversagen. Wo auch immer Marktversagen vorliegt – so auch die neoliberale Theorie – muss die Politik in die Spielregeln eingreifen. Und genau dieser Logik folgt die 1 zu 12 Initiative.  Sie leistet einen enorm wichtigen Beitrag zur Debatte um «den gerechten Lohn» in einer arbeitsteiligen Gesellschaft. Dieser Diskurs ist eigentlich nicht neu, wurde sie doch seit Jahrhunderten von der Kirche und Philosophen geführt. Aber nachdem die modernen Demokratien der Nachkriegszeit immer gerechterer Verhältnisse hergestellt hatten, traten sie eine lange Zeit in den Hintergrund. Diese Zeiten funktionierten nach der Logik «wenn es allen gut geht, dann geht es denen oben gut».

Leistungsgesellschaft wieder herstellen

Wir haben uns in rasendem Tempo meilenweit von einer Leistungsgesellschaft entfernt und sind zu einer Privilegien-Gesellschaft zurückgekehrt. Dies und die Lohnexzesse des letzten Jahrzehnts machten es nötig, dieses Thema wieder zuoberst auf die Agenda zu setzen.  Die Prämissen haben sich nämlich ganz plötzlich geändert: «Wenn es denen oben gut geht, geht es allen gut». Was natürlich Unsinn ist. Erst wenn die Angestellten die von ihnen hergestellten Produkte und Dienstleitungen auch selber kaufen können floriert die Wirtschaft und kann sich eine breite Mittelschicht bilden. Erst diese breite Kaufkraft ermöglichte das Wachstum und den Wohlstand in den Nachkriegs-Jahrzehnten. Die 1:12 ist nicht nur aus Gerechtigkeitsüberlegungen zu befürworten, sondern auch aus volkswirtschaftlichen Gründen.

Ausgleich und breite Mittelschicht als Erfolgsmodell Schweiz

Das Erfolgsmodell der Schweiz war immer der Ausgleich. Ein Ausgleich zwischen den Sprach- und Kulturregionen, zwischen den Katholiken und den Reformierten, zwischen Staat und Wirtschaft und eben auch zwischen «oben» und «unten». Der Bänker und der Bäcker auf der gleichen Militärpritsche und dem gleichen Parlamentsbänkli. Ein Leben unter Ähnlichen. Der Kern einer echt Bürgerlichen (Leistungs-)Gesellschaft. So gesehen stellt die 1:12-Initiative nur den Erfolgs-Zustand wieder her, den wir bis in die 90er Jahren hatten. Und das ist sehr gut so.

Und bevor Sie – liebe Leserin und Leser – reflexartig meinen, die 1:12 sei sozialistisches Kommunistenwerk – nehmen Sie sich die Zeit und denken Sie in Ruhe nach. Können Sie mit gutem Gewissen die Frage, ob wir noch eine Leistungsgesellschaft sind, bejahen? Und können Sie sagen, Ja, die bürgerlich-liberalen Prämissen sind noch erfüllt? Oder meinen Sie gar, die Zustände seien einfach hinzunehmen weil sie naturgesetzlich sind? Darüber nachzudenken lohnt sich.

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