Der am Dienstag eingetretene «government shutdown» in den Vereinigten Staaten könnte ein Vorgeschmack auf das sein, was dem Land ab der Monatsmitte droht: Einigt sich der Kongress bis 17. Oktober nicht in dem wesentlich kritischeren Haushalt-Streitpunkt, nämlich der Erhöhung der Schuldenobergrenze, dürften die USA wohl zum ersten Mal in ihrer Geschichte in die Zahlungsunfähigkeit («default») rutschen. Dies hätte weitreichende Konsequenzen.
Déjà-vu von 2011
Die gesetzlich festgelegte Schuldengrenze liegt derzeit bei 16,7 Bio. $ und entspricht etwa 105% des Bruttoinlandprodukts (BIP). Bereits seit einigen Monaten bedient sich das amerikanische Schatzamt einiger «aussergewöhnlicher Massnahmen», wie es heisst, um die Finanzierung staatlicher Aktivitäten sicherzustellen. Mitte Oktober wird es aber seinen Gestaltungsspielraum ausgereizt haben. Zuletzt schlitterten die USA 2011 knapp an einer Zahlungsunfähigkeit vorbei; die damalige Krise führte aber dazu, dass die Rating-Agentur Standard & Poor’s (S&P) den USA im August 2011 die Topnote «AAA» entzog.
Gemäss einer am Montag veröffentlichen Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters schätzen zwar 40 von 51 befragten Ökonomen grosser Bankinstitute die Wahrscheinlichkeit, dass die USA Mitte Oktober tatsächlich in eine Zahlungsunfähigkeit rutschen, auf weniger als 10% ein. Doch sollten die verhärteten politischen Fronten in Washington tatsächlich dazu führen, dass der amerikanische Kongress die Schuldengrenze nicht weiter anhebt, müssten ab Mitte Oktober die Staatsausgaben den Einnahmen entsprechen. Nach Schätzungen des Congressional Budget Offices (CBO) beträgt diese Differenz im Fiskaljahr 2013 19% und dürfte 2014 noch 16% ausmachen; um diesen Prozentsatz müssten also die gesamten Staatsausgaben eingeschränkt werden. Anders als bei dem am Dienstag eingetretenen Shutdown wären theoretisch alle öffentlichen Bereiche von Kürzungen betroffen, selbst die staatlichen Sozialprogramme Medicaid und Medicare.
Dann dürfte es eine Frage der Zeit sein, bis die USA auch ihre finanziellen Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen können. Gemäss der Rating-Agentur Moody’s sind die im Oktober ausstehenden Zinszahlungen der Vereinigten Staaten relativ gering, doch am 15. November muss das Treasury Schulden von rund 16 Mrd. $ begleichen, was etwa 6% der monatlichen Einnahmen im Fiskaljahr 2014 entspricht. Gemäss Moody’s würde ein Zahlungsausfall der USA die Finanzmärkte beunruhigen und das Vertrauen von Unternehmen und Konsumenten in die US-Wirtschaft erschüttern.
Das Fed ist beunruhigt
Der Chef der amerikanischen Notenbank Fed, Ben Bernanke, hatte bereits Mitte September gesagt, ein «government shutdown» sowie das Versäumnis, die Schuldenobergrenze anzuheben, könnten «sehr ernsthafte Konsequenzen» für die Finanzmärkte und die Wirtschaft haben. Einige Experten gehen davon aus, dass der Haushaltsstreit im Kongress auch ein Grund dafür ist, weshalb das Fed seine geplante Reduktion der Anleihenkäufe am Kapitalmarkt («tapering») noch nicht begonnen hat.
Angesichts der drohenden Zahlungsunfähigkeit der USA könnten auch Investoren ihre Staatsanleihen verkaufen, meinen Experten warnend, was sich wiederum auf das Zinsniveau auswirken würde. Als zuletzt 2011 der Default drohte, hatten die Anleger jedoch wider jegliche Intuition nicht mit einem Verkauf, sondern einem verstärkten Kauf amerikanischer Staatsanleihen reagiert. Auch am Dienstag, nach Bekanntwerden des Shutdown, stiegen die Renditen der amerikanischen Benchmark-Anleihen mit 10 Jahren Laufzeit leicht auf rund 2,65%.
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